«Krebs erschüttert das Grundvertrauen in den eigenen Körper»

Von Claudia Leuenberger und Martina Leser
Lesedauer: 5 Minuten

Claudia Leuenberger ist als Psychoonkologin im Ambulatorium Barmelweid Aarau und auf der Palliativstation der Hirslanden Klinik Aarau (im Rahmen ihrer Anstellung bei der Barmelweid) tätig. Im Interview erzählt sie, was die Psychoonkologie ist und wie sie Ihren Patientinnen und Patienten in der Therapie hilft, wieder Lebensfreude zu gewinnen und ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren.

In letzter Zeit hört man oft von der Psychoonkologie, doch was ist sie genau, Claudia Leuenberger?

Die Psychoonkologie ist als eigenes Arbeitsgebiet in der Onkologie angesiedelt und ist eine noch relativ junge Wissenschaft, die sich auf die Zusammenhänge zwischen psychischem Befinden, Krebsentstehung und Erkrankungsverlauf spezialisiert hat. Sie bezieht  das gesamte soziale Umfeld der Erkrankten mit ein und zeichnet sich durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen aus: Ärzte/Ärztinnen unterschiedlicher Fachrichtungen, Pflegende, Breast Care Nurses, PsychologInnen/PsychotherapeutInnen, Sozialarbeiter/innen, Seelsorgende, PhysiotherapeutInnen, ErgotherapeutInnen, ErnährungstherapeutInnen etc. arbeiten hier eng zusammen.
Eine Einbindung der Psychoonkologin in die interdisziplinäre Zusammenarbeit am Tumorboard schliesslich (Tumorkonferenz, um die bestmöglich Therapie für alle Patienten zu erreichen), kann zur Optimierung eines ganzheitlichen Behandlungsplanes beitragen.

Warum ist die psychoonkologische Betreuung so wichtig für die Patientinnen und Patienten?

Eine Krebserkrankung bedeutet für die Betroffenen und ihr Umfeld grosse Belastungen, Herausforderungen und radikale Veränderungen im Alltag. Das Grundvertrauen in den eigenen Körper wird erschüttert, da sich eine schwere Erkrankung «aus heiterem Himmel» entwickelt hat. Und: Die Erkrankung wirft auch existentielle Fragen auf – die eigene Sterblichkeit rückt ein Stück näher. Die Konfrontation mit der Endlichkeit, mit den Fragen, wie es mit der finanziellen Lage aussieht und wie es mit dem Arbeitsplatz/Beruf weitergeht, beschäftigen die Patientinnen und Patienten – auch dann, wenn gute Behandlungs- und Heilungschancen bestehen. Die psychoonkologische Behandlung kann helfen, das Vertrauen in den Körper wieder zurückzugewinnen und wieder neue Lebensfreude zu gewinnen.

Welche Patientinnen und Patienten brauchen psychoonkologische Hilfe?

Als erstes ist wichtig zu wissen, dass eine starke psychische Belastung in einer solchen Situation  grundsätzlich keine Krankheit ist, sondern eine ganz natürliche Reaktion auf eine aussergewöhnliche Herausforderung. Den meisten Krebsbetroffenen gelingt es mit der Zeit, dank psychischer Widerstandskraft (Resilienz) und erfolgreichen Bewältigungsstrategien, die Erkrankung in ihr Leben zu integrieren – jede/r dritte Patient/in aber nimmt Hilfe in Anspruch. Viele von den Patientinnen und Patienten, die zu uns kommen, geraten in eine psychische Krise mit depressiven Symptomen, Ängsten oder sogar posttraumatischen Symptomen. In der psychoonkologischen Betreuung wünschen sich die Betroffenen dann meist Tipps zum Umgang mit ihrer Erkrankung, zu Konflikten in der Familie oder am Arbeitsplatz oder zu weiteren Beweggründen wie Scham, Schuldgefühlen, Selbstwertverlust oder Veränderungen des Körperbildes. 

Was geschieht, wenn eine Patientin oder ein Patient das erste Mal zu Ihnen kommt?

Als erstes gebe ich der Patientin oder dem Patienten einfach einmal Zeit und Raum, ihr / sein momentanes Befinden und ihre / seine Anliegen auszudrücken. Mit diesen Informationen erarbeiten wir dann zusammen einen individuellen Arbeitsplan. Viele der Patientinnen und Patienten fühlen sich bereits nach dem ersten Gespräch entlastet, denn sie haben sich zum ersten Mal getraut, das, was sie belastet und ängstigt, auszusprechen.

Welches sind die positiven Effekte der psychoonkologischen Behandlung?

Viele Betroffene haben zum Beginn der Therapie das Gefühl, nicht mehr Herr über ihren Körper, ihren Alltag und letztendlich ihr Leben zu sein. Der Körper hat sich verändert, diverse Therapien sind notwendig, ein Fächer an Nebenwirkungen hat sich aufgetan. Durch unsere tatkräftige Unterstützung kommen die Patientinnen und Patienten aus ihrer passiven Rolle, dem Ausgeliefertsein, heraus. Sie werden handlungsfähig und selbstbestimmter und können ihre Selbstheilungskräfte aktivieren. Neben Gesprächen arbeiten wir u.a. auch mit Achtsamkeitsübungen, Entspannungsverfahren sowie klinischer Hypnosetherapie. Zusammenfassend kann man sagen, dass durch die psychoonkologische Betreuung die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten wieder steigt.

Dürfen auch Familienangehörige zu Ihnen kommen?

Ja, denn eine Krebserkrankung betrifft das ganze Familiensystem. Die Angehörigen haben zum Beispiel oft Mühe, mit dem/der Betroffenen direkt über die Erkrankung zu sprechen, ganz besonders, wenn es um ihre eigenen Ängste geht. Angehörige stellen zudem oft  ihre eigenen Bedürfnisse zu Gunsten der Bedürfnisse des/der Betroffenen in den Hintergrund. Oft leiden Angehörige deshalb mehr als die Patientinnen und Patienten. Hier versuchen wir, die Angehörigen gezielt zu unterstützen, damit sie wieder aus der Krise herausfinden.

Was geschieht, wenn es für Patientinnen und Patienten keine Heilung mehr gibt? Wie können Sie hier Unterstützung bieten?

Auch wenn es für Patientinnen und Patientinnen keine Heilungschancen mehr gibt, sind wir für sie da – zur psychoonkologischen Betreuung gehört auch die Begleitung in der palliativen und in der terminalen Phase. Oft gibt es für die Betroffenen noch vieles zu klären. Mögliche Themen sind beispielweise die Trauer um das Zurücklassen der Angehörigen, die Trauer um den Verlust des eigenen Lebens oder das Gefühl, Wichtiges versäumt zu haben. Hier unterstützen wir die Patienten und Patientinnen beim Lernen von Annehmen und Loslassen, Ermutigen und im Moment bleiben. In den Gesprächen geht es oft auch darum, das gelebte Leben zu würdigen und zu erkennen, wann man sich so besonders lebendig und stolz gefühlt hat.

Wie sieht es vom Finanziellen her aus – wer bezahlt eine psychoonkologische Behandlung?

Hier kann ich alle beruhigen, die sich überlegen, psychoonkologische Hilfe in Anspruch zu nehmen: Sowohl die stationäre als auch die ambulante psychoonkologische Betreuung wird von den Krankenkassen bezahlt – die Patientinnen, Patienten und Angehörigen sind hier also keinen weiteren finanziellen Belastungen ausgesetzt.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Es ist wirklich gut zu wissen, dass man sich bei einer Krebserkrankung psychische Hilfe holen kann. Denn die Angst vor allem Ungewissen, das die Zukunft bringen kann, ist oft lähmend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert