Von Martina Leser
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Als Social Media Managerin der Barmelweid komme ich nur selten in den direkten Kontakt mit unseren Stationen. Vor kurzem aber war ich unterwegs auf C2, unserer Langzeitpflegestation. Das Ambiente, die Herzlichkeit und der Respekt gegenüber den Pflegebedürftigen, die hier zu spüren sind, haben mich berührt.
Langsam öffnen sich die Lifttüren und ich trete ein – ein in die kleine, ganz eigene Welt, die sich im Innern von C2, unserer Langzeitpflegestation, befindet. Schon im ersten Augenblick fällt mir auf, dass es hier anders aussieht, als auf unseren anderen Stationen: Es ist so bunt, so fröhlich – und so heimelig – und fast nichts erinnert einen daran, dass wir uns hier auf einer Pflegestation befinden.
In der Vitrine gleich beim Eingang sind verschiedene kleine Schätze ausgestellt, welche die 16 Bewohnerinnen und Bewohner in der Aktivierung hergestellt haben. An der Decke baumeln bunte Schmetterlinge und Vögel, an den Wänden hängen unzählige Fotos der Bewohnerinnen und Bewohner bei Alltagstätigkeiten oder bei Feierlichkeiten. Die Fotos zeigen, dass es trotz einer Pflegebedürftigkeit oder Demenz möglich ist, aktiv zu sein – und sie haben auch einen therapeutischen Effekt: Sie helfen den Dementen, sich an Erlebtes besser zu erinnern und ermöglichen ihnen dadurch kleine Erfolgserlebnisse im Alltag mit ihrer Demenz.
Ich spaziere durch den Flur und visiere das Stationszimmer an. Schon von weitem höre ich ein freundliches Stimmenwirrwar, und im Türrahmen stehend entdecke ich auch bald die lachenden Gesichter dazu. Schon wieder bin ich berührt: Die Herzlichkeit, die von den Mitarbeitenden auf dieser Station ausgeht, fängt einen direkt im ersten Moment ein. «Herzlich willkommen!», begrüsst mich Teamleiterin Sabrina Heller fröhlich, «du kannst gleich mit Vithusha mitgehen, sie zeigt dir, was hier alles zum Tagesablauf gehört.»
Vithusha Parameswaray ist in der Ausbildung zur Assistentin Gesundheit und Soziales und nimmt mich mit ins erste Zimmer. Mit viel Geduld hilft sie einer demenzkranken Frau beim Haare föhnen und Anziehen. «Weisst du, man muss einfach wissen: Für die meisten ist hier Endstation», erklärt sie mir direkt. Das muss ich erst mal sacken lassen. Der Gedanke an den Tod ist mir etwas unangenehm. Je länger ich aber mit Vithusha mitgehe, desto mehr merke ich, dass der Tod hier zwar allgegenwärtig ist, aber nicht im Vordergrund steht. Und: Dass der Weg hin bis «zur letzten Reise» hier auf Station von unglaublich viel Geduld, Herzlichkeit und Respekt gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern geprägt ist. Hier zu sterben bedeutet: In Würde gehen können.
Wir wollen ins nächste Zimmer wechseln, werden aber auf dem Gang von einer älteren Dame mit Brille aufgehalten – im ersten Moment weiss ich nicht, ob es eine Bewohnerin ist oder eine Mitarbeiterin, sie sieht etwas jünger aus, als die anderen Patientinnen und Patienten hier auf Station. Mit ernster Miene erzählt sie uns, sie sei entlassen worden und müsse sich nun einen neuen Job suchen. Mir dämmert, dass wir hier der Demenz direkt ins Auge schauen: Betroffene erinnern sich oft an Dinge, die länger zurückliegen in ihrem Leben, aber nicht mehr an Dinge, die erst vor kurzem passiert sind. So ist die Entlassung vor 20 Jahren näher, als das Geburtstagsfest des Enkels vor 2 Wochen. Während ich nicht recht weiss, wie reagieren, geht Vithusha einfühlsam auf die Frau ein und schafft es, sie innert kürzester Zeit zu beruhigen. Die Frau zieht sich mit einem Tiermagazin ins Fernsehzimmer zurück und wir gehen weiter ins nächste Zimmer. Auf dem Weg dorthin erzählt mir Vithusha: «Wir haben auch zwei Bewohnerinnen, die praktisch nur noch Italienisch sprechen, da dies ihre Muttersprache ist und sie Deutsch erst später in ihrem Leben erlernt haben». Mit ihnen sprechen die Pflegenden also – so gut es geht – Italienisch. Toll, wie ich finde.
Nachdem alle Bewohnerinnen und Bewohner aufgestanden sind und gefrühstückt haben, können sie an verschiedenen Aktivierungsprogrammen teilnehmen. Wer basteln mag, trifft sich im Fernsehzimmer, wer lieber Gymnastik machen will, bleibt im Gemeinschaftsraum, wo auch die Mahlzeiten serviert werden. Wenn es etwas im Garten zu tun gibt können die Bewohnerinnen und Bewohner bei der Gartenarbeit mithelfen. Heute ist dies aber nicht der Fall. Und so pendle ich zwischen den beiden anderen Räumen hin und her und beobachte, wie die Bewohnerinnen und Bewohner in ein Album malen, Tiere falten, sich gegenseitig Bälle zuwerfen und Tücher schwenken – natürlich immer angeleitet und unterstützt von den Pflegenden.
«Wie schafft ihr es, diese schier unendliche Geduld für die Bewohnerinnen und Bewohner aufzubringen?», frage ich am Schluss meines Rundgangs Teamleiterin Sabrina Heller. Ich bin sicher, ich hätte schon nach einem Tag auf Station erschöpft aufgegeben. «Zu einem grossen Teil ist es die Dankbarkeit, die wir von unseren Bewohnerinnen und Bewohnern zu spüren bekommen. Das motiviert einen enorm, jeden Tag wieder das Beste zu geben. Und wir sind einfach ein Super-Team. Viele von uns sind schon seit 10 oder mehr Jahren hier im Dienst. Wir sind wie eine Familie, das macht die Zusammenarbeit vertrauter und damit auch einfacher.»
Beeindruckt von diesem Statement und von dieser Station schlendere ich zurück zum Lift. Doch diesen kann ich nicht rufen. Und auch die Türe zum Treppenhaus ist verschlossen. Dies zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner, damit sie sich nicht im Haus oder im Freien verirren – die Barmelweid ist ja umgeben von Wald. Die verschlossenen Türen sind aber das Einzige hier, das mich daran erinnert, auf einer Pflegestation zu sein und nicht in einer grossen Mehrgenerationen-WG. Ein Mitarbeiter kommt schnell zu Hilfe und schliesst mir die Tür auf. Im Treppenhaus atme ich kurz tief durch und mache mich dann auf den Weg zurück in mein Büro – um eine wichtige Erfahrung reicher.
Danke für diesen Beitrag, er hat mich sehr berührt!
Danke auch dem Personal für ihren tagtäglichen Einsatz, mit Menschlichkeit für Menschen.
Macht weiter so, bleibt am Ball, wer weiss, vielleicht darf ich auch einmal bei euch wohnen, ein gutes Gefühl der Geborgenheit!
Lieber Herr Heller
Vielen Dank für die motivierenden Worte, wir werden sie gerne ans Team weiterleiten. Schön zu lesen, dass Sie sich vorstellen könnten, bei uns zu wohnen – das ist das grösste Kompliment, das Sie unseren Mitarbeitenden machen können. Vielen herzlichen Dank.