Von Diandra Russo und Martina Leser
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Von aussen betrachtet mag es so wirken, als wäre die Musiktherapie einfach «e chli trommele i de Gruppe». Tatsächlich aber ist die Musiktherapie eine sehr kreative und effektive Therapieform, die in der Regel bei allen Patientinnen und Patienten funktioniert – denn: Fast alle haben irgendeine Beziehung zur Musik. Heute bin ich an der Reihe: Mit unserer Leiterin Musiktherapie, Diandra Russo, begebe ich mich auf eine Reise durch die Klangwelt der Musiktherapie.
Diandra Russo empfängt mich mit einem herzlichen Lachen im Therapieraum der Musiktherapie. Ich lasse den Blick kurz umherschweifen und registriere die vielen Instrumente, die den Raum ausfüllen. «Wie viele es wohl insgesamt sind?», überlege ich kurz. Dann falle ich direkt mit der Tür ins Haus: «Sag mal, wie schafft man es, mit Hilfe von Musik Patientinnen und Patienten bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen?»
«Eine gute Frage», wie Diandra Russo findet. Sie erklärt: «Das Einfache an der Musiktherapie ist, dass die allermeisten Patientinnen und Patienten auf irgendeine Weise einen Zugang zur Musik finden. Oft haben sie früher sehr viel Musik gehört – oder auch selbst gemacht – haben dies aber im Laufe ihres Lebens aufgegeben oder einfach ‘vergessen’. Viele Patientinnen und Patienten berichten, dass sie das Musik machen und erleben während ihres Aufenthalts in der Barmelweid sehr motiviert. So ist es in der Regel kein Problem, mit unseren Patientinnen und Patienten in die Welt der Klänge einzutauchen.»
Ich erfahre von Diandra Russo, dass in der Musiktherapie auf zwei Weisen vorgegangen wird: Es gibt einen aktiven Zugang – das heisst, die Patientinnen und Patienten machen selbst Musik oder singen – und es gibt einen rezeptiven Vorgang, bei dem die Patientinnen und Patienten Musik hören, erfahren – und auch am eigenen Körper spüren können. «Dies hat viel mit ‘Hilfe annehmen können’ zu tun», erklärt mir Diandra Russo. Sich fallen lassen können, sich etwas Gutes tun und vor allem eben auch Hilfe zulassen können sind wichtig, um den Alltag in Zukunft besser bewältigen zu können. Oft machen dabei auch einfach unsere Therapeutinnen und Therapeuten für die Betroffenen Musik: Diandra Russo beispielsweise spielt am liebsten auf dem Klavier und dem Saxophon vor oder singt für ihre Patientinnen und Patienten. Aber auch das sogenannte «Klangbett» sei sehr beliebt.
«Was ist das Klangbett?», möchte ich – mich ziemlich unwissend fühlend – wissen. «Das Klangbett besteht aus einem halbrunden Instrumentenkörper, der als Resonanzraum dient. Unterhalb des Bettes befinden sich der Länge nach 55 Saiten, welche, ähnlich wie bei einer Harfe, von der Musiktherapeutin gespielt, respektive gezupft, werden. Wenn die Patientin oder der Patient auf dem Bett liegt, dann hört sie oder er die Töne nicht nur, sondern spürt sie direkt im Körper drin. Der eigene Körper wird so zum Resonanzkörper. Der Einsatz des Klangbettes wird, je nach individuellem Bedürfnis, zur Körperwahrnehmung, Entspannung, imaginativen Klangreisen und Verarbeitung von schwierigen Themen eingesetzt», wie mir Diandra Russo erklärt.
«Das will ich auch ausprobieren», denke ich, und habe Glück, denn Diandra Russo bietet mir das auch direkt an. Ich lege mich aufs Bett und die Therapeutin beginnt zu spielen. Nur einen einzigen Ton spielt das Bett, denn alle Saiten sind gleich gestimmt, aber dieser Ton wirkt von der ersten Minute an sehr beruhigend auf mich. Und es ist interessant: Werden mehrere Saiten zum Klingen gebracht, so hört man nicht nur diesen einen Grundton, sondern viele weitere Töne, die einen wie eine wohlklingende Wolke umhüllen. Nach wenigen Minuten auf dem Bett muss ich aber aufsitzen, denn ich fürchte, vor Entspannung einzuschlafen. «Das passiert unseren Patientinnen und Patienten oft», lacht Diandra Russo, «aber das macht überhaupt nichts, das ist ein Zeichen von ‘loslassen’». In der Regel spielt sie jeweils zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde auf dem Klangbett.
Während ich meine Schuhe wieder anziehe, lasse ich den Blick im Zimmer umherschweifen und betrachte noch einmal die vielen Instrumente. Wie viele es genau sind, kann mir Diandra Russo nicht sagen, «aber es hat bestimmt für jeden etwas dabei», erklärt sie mir. Dabei erstreckt sich das Sortiment ganz bewusst von sehr einfachen bis zu anspruchsvollen Instrumenten. «Wer sich unsicher fühlt oder noch nicht ganz angekommen ist, der fängt vielleicht mit Schlaghölzern oder einer kleinen Trommel an,» erklärt sie, «es gibt aber auch Patientinnen oder Patienten, die das vergessene Gitarrenspiel bei uns wieder neu entdecken».
Eines der Instrumente, das oft in der Therapie eingesetzt wird, ist die Handpan. Das Instrument sieht ein bisschen aus wie ein Ufo und spielt ganz sanfte Töne. Man kann es mit einem Schläger spielen oder auch einfach mit der Hand. Häufig begleitet Diandra Russo ihre Patientinnen und Patienten auf dem Klavier, wenn diese auf der Handpan spielen. Ich darf das Instrument selbst austesten und bin erstaunt: Egal, was ich spiele – das, was Diandra Russo dazu auf dem Klavier begleitet, passt perfekt. So entsteht die Musik quasi von ganz alleine und es entsteht aus dem Moment eine ganz eigene Melodie – und das, obwohl ich persönlich eher gehemmt bin, wenn es ums Musik machen geht. «Das ist einer der tollen Nebeneffekte der Musiktherapie», bestätigt Diandra Russo, «im gemeinsamen Spiel kann es zu unerwarteten Erfolgserlebnissen kommen und das kann sich positiv auf die Motivation auswirken.»
Die Therapien finden aber nicht immer im Einzelnen statt, sondern oft auch in der Gruppe. «Dort geht es vor allem darum, in einer Gruppe seinen eigenen Platz einzunehmen», erklärt mir Diandra Russo. In den Gruppentherapien sucht sich jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sein Instrument aus und es entsteht in der Gruppendynamik mal laute, mal leise, mal ganz verrückte oder auch sehr gefühlvolle Musik. «Meist merke ich sehr schnell, wie harmonisch eine Gruppe ist», sagt die Therapeutin. In der Gruppentherapie lassen sich viele Themen ansprechen, mit denen die Patientinnen und Patienten im Leben konfrontiert sind und die ihnen Schwierigkeiten bereiten. Dabei kommen viele verschiedene Emotionen an die Oberfläche: «In der Gruppentherapie wird viel gelacht, aber auch sehr oft geweint», erklärt Diandra Russo, «aber das ist oft auch nötig und sehr hilfreich, wenn sich unsere Patientinnen und Patienten auf den Weg begeben, ihre Wünsche an das eigene Leben zu formulieren und diese auch umzusetzen.»
Sehr beeindruckt von dieser Stunde bei Diandra Russo und mit dem Wissen, dass in der Musiktherapie eben nicht nur einfach «echli trommelet» wird, mache ich mich auf den Weg zurück ins Büro – und überlege mir, ob ich nicht doch vielleicht meine Gitarre wieder einmal aus dem Keller holen sollte.