«Nikotin war, ist und bleibt das Hauptproblem»

Von Susann Koalick und Martina Leser
Lesedauer: 5 Minuten

Seit mehr als 25 Jahren engagiert sich Susann Koalick in der Nikotinberatung. Im Laufe der Zeit haben sich Begrifflichkeiten rund um die Nikotinabhängigkeit und deren Behandlung immer wieder geändert – mal war von Tabakentwöhnung die Rede, dann von Rauchstopp – aber das eigentliche Problem blieb stets das Nikotin. In diesem Blogbeitrag erklärt Susann Koalick, warum Nikotin weiterhin abhängig macht, was Industrie und Marketing tun, um dies zu verstärken, und weshalb die Bereitschaft für die Veränderung von Gewohnheiten so wichtig ist im Kampf gegen die Nikotinsucht.

«Wir Fachpersonen bieten ganz klar Nikotinberatung», sagt Susann Koalick, Leiterin Nikotinberatung der Barmelweid, als wir sie im Restaurant der Klinik treffen. «In der Beratung konzentrieren wir uns nicht nur auf die Tabakentwöhnung oder den Rauchstopp, sondern vielmehr auch auf die Entzugsbehandlung der Droge Nikotin. Viele Betroffene nehmen über eine lange Zeit und kontinuierlich Nikotin zu sich – trotz schädlicher Folgen. Die Folgeerkrankungen, mit denen ich in der Nikotinberatung konfrontiert werde, sind oft gravierend und resultieren aus dem hohen Abhängigkeitspotential des Nikotins.»

Susann Koalick ist schon mehr als 25 Jahren in der Nikotinberatung tätig – sie weiss, wovon sie spricht. Mit uns lässt sie ihre Zeit als Nikotinberaterin Revue passieren, nimmt das Nikotin in den Fokus und erklärt, weshalb sie in der Beratung immer gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten Ziele festlegt.

Susann Koalick als Vorreiterin schweizweit
Mit dem Aufbau der Nikotinberatung auf der Barmelweid begann Susann Koalick 1999. Damals arbeitete sie noch in der Pflege. Sukzessive bildete sie sich weiter, bereitete sich auf ihr neues Amt vor und startete 2000 dann mit den ersten Beratungen. Schnell merkte sie, dass sie weitere Expertise in verschiedenen Bereichen benötigte, beispielweise in der Kommunikation, in der psychologischen Gesundheitsförderung oder dem lösungsorientierten Coaching. So wurde sie zum Nikotin-Beratungsprofi und nahm in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein, denn: Eine nichtärztliche Nikotinberatung im Spital gab es zu diesem Zeitpunkt erst auf der Barmelweid und im Berner Inselspital.

«Mit der Zeit zogen dann andere Spitäler und Gesundheitseinrichtungen nach», sagt Koalick. Die Fachstellen trugen jedoch Bezeichnungen wie ‹Rauchstoppberatung›, während eigentlich der Begriff ‹Nikotinberatung› aus meiner Erfahrung angemessener wäre.» Denn der Stoff, der macht, dass die Menschen beim Rauchen bleiben und süchtig sind, ist das Nikotin, egal ob er aus der Tabakpflanze stammt (in Zigaretten) oder synthetisch hergestellt wird (zum Beispiel für Dampfer oder Pouches).

Ist ein Profi in der Nikotinberatung: Susann Koalick.

Egal ob aus der Tabakpflanze oder synthetisch: Nikotin macht schnell abhängig
Susann Koalick berichtet: «In meiner langjährigen Tätigkeit habe ich gesehen, wie sich das Nikotin verändert hat. Ursprünglich aus Tabak gewonnen, gibt es heute synthetisches Nikotin, Nikotinsalze und Nikotin-Analoga. Synthetisches Nikotin, das nicht aus Tabakpflanzen gewonnen wird, wird unter Begriffen wie ‹tabakfreies Nikotin› oder ‹Nikotinimitation› vermarktet. Es wird als ‹praktisch geschmacks- und geruchsneutral› beworben und findet sich in E-Zigaretten und Nikotinbeuteln».  Die Krux: Egal, ob aus der Tabakpflanze oder synthetisch hergestellt: Nikotin macht schnell abhängig. Wie das? «Es ‹schickt› Neurotransmitter wie Dopamin ins Gehirn, die ein Zufriedenheitsgefühl auslösen, aber eben auch das Verlangen danach, den Stoff immer und immer wieder zu erhalten», erklärt Koalick.

«Dies den Patientinnen und Patienten in der Beratung klarzumachen, ist sehr wichtig», weiss Koalick, «sie müssen verstehen, welche Vorgänge im Gehirn ablaufen beim Nikotinkonsum und was sich Industrie und Marketing immer wieder Neues einfallen lassen, um neue Abhängigkeiten zu schaffen.» Denn, so weiss Koalick: Alle neuen Formen des Nikotinkonsums, beispielsweise das Dampfen oder die Nikotin-Pouches, welche als «Ausstiegshilfen» angepriesen werden, bewirken in der Regel genau das Gegenteil: Nämlich, dass die Abhängigen neben dem Rauchen das Nikotin jetzt auch noch in einer zweiten Variante konsumieren.

«Da wir bereits Hinweise auf die Schädlichkeit dieser neuen Produkte mit oder ohne synthetischem Nikotin haben – z. B. können bei bestimmten Dampfgeräten Plastikröhrchen oder andere Kunststoffteile beim Erhitzen schmelzen oder sich verformen – ist Vorsicht geboten. Diese Geräte müssen unbedingt regelmässig gewartet werden», empfiehlt Koalick. Doch warum lassen wir uns überhaupt von solchen neuen Varianten «verleiten»? «Weil die Marketer clever sind: Sie erfinden immer wieder neue, trendige Produkte. Vor kurzem habe ich beispielsweise ein E-Produkt gesehen, das wie eine Smartwatch aussieht», erklärt Koalick.

Veränderungen zu akzeptieren ist essenziell
Patientinnen und Patienten, die zu Susann Koalick in die Nikotinberatung kommen, haben oft das Ziel, ihren Nikotinkonsum einzustellen. Denn dieser Konsum führt in der Regel zu zwei Abhängigkeiten: der körperlichen Abhängigkeit von Nikotin und der gewohnheitsmässigen Abhängigkeit. «Nikotin ermöglicht es, im Alltag unauffällig zu bleiben, was Rituale fördert, die im Tagesrhythmus integriert werden», erläutert Koalick, «in jeder Beratung ist es mir deshalb wichtig, die Gründe für den Abstinenzwillen zu festigen und persönliche Ziele zu konkretisieren. So finden wir Lösungen, um Gewohnheiten zu verändern. Die Schwere der körperlichen Nikotinsucht lässt sich mit dem Fagerström-Test erfassen, und kann dann mit pharmakologischen Nikotinersatzprodukten – wie z. B. Pflastern – behandelt werden. Diese Produkte geben Nikotin in verlangsamter Form ab und vermeiden so eine neue Abhängigkeit.».

Doch weshalb ist es so schwer, vom Nikotin wegzukommen? «Die Macht der Nikotinsucht ist oft übermächtig. Sie zu besiegen erfordert Wille, Geduld und Strategien», erklärt Koalick. «Ein erneuter Zug kann auch nach Jahren einen Rückfall bewirken. Das zeigt, wie perfide Nikotin ist».

Wer noch mehr erfahren möchte:
Fachbuch Nikotinabhängigkeit und Tabakprävention: Koalick S, Bilke-Hentsch O, Sigrist T (2022) Nikotinabhängigkeit und Tabakprävention. Reihe Sucht: Risiken – Formen – Interventionen. Stuttgart: Kohlhammer.

Zusammenfassung des Buchs:
Der globale Zigarettenkonsum ist kaum zurückgegangen, fordert weltweit pro Jahr mindestens 6 Millionen Tote und hat gravierende gesundheitliche wie auch volkswirtschaftliche Folgen. Ein vertieftes Verständnis der neurobiologischen und psychosozialen Aspekte des Nikotinkonsums erleichtert die Prävention und Intervention im Einzelfall sowie die Therapie von Lungenerkrankungen. Dieses Buch betrachtet Rauchen und seine Begleiterscheinungen im Gesamtzusammenhang, im Spektrum von der vorübergehenden schlechten Angewohnheit bis zur schwersten tödlich verlaufenden Abhängigkeitserkrankung.

Hier können Sie selbst den Fagerströmtest machen.

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