Von Martina Leser
Lesedauer: 6 Minuten
Jugendliche und junge Erwachsene, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, kommen in der Barmelweid auf Station B1. Hier kümmert sich unser bodenständiges und gefestigtes Pflegeteam um die gestrandeten Jugendlichen. Durch Beziehung, mit viel Geduld, aber auch Strenge, bringt das Team die Teenager langsam wieder zurück auf Kurs. Eine davon ist Alina Siegfried, die uns hier ein paar Einblicke in ihre Arbeit gibt.
Jugendliche haben in der Zeit ihrer Adoleszenz, also in der Pubertät, eine Fülle an Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen – dies zusätzlich erschwert durch gravierende hormonelle Veränderungsprozesse und Entwicklungsschritte, die alle gleichzeitig in Körper und Gehirn ablaufen. Sie sollten sich beispielsweise langsam von ihrem Elternhaus ablösen, einen Freundeskreis aufbauen, eine eigene Weltanschauung entwickeln, verantwortungsvoll werden und Zukunftspläne haben. Einige Teenager kommen durch diese Fülle an Aufgaben und Erwartungen ernsthaft aus dem Gleichgewicht – besonders dann, wenn es schwierig ist in ihrem sozialen Umfeld.
Auf der Barmelweid behandeln wir Jugendliche und junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen auf der Station B1. Alina Siegfried, diplomierte Pflegefachfrau HF, nimmt uns mit auf eine Runde durch die Station und erklärt, welches die Hauptaufgaben sind, mit denen sich das Pflegeteam auseinandersetzt.
«Bei Schichtwechsel schauen wir uns immer den aktuellen Zustand unserer Patientinnen und Patienten an und geben wichtige Informationen an die nächsten Pflegefachpersonen weiter,» erklärt Alina Siegfried gleich zu Beginn. Themen, die dabei immer wieder aufkommen, sind pünktliches Aufstehen, Aufräumen in den Zimmern, verpasste Therapien, aber auch selbstverletzendes Verhalten, erbrochenes Essen oder die korrekte Medikamenteneinnahme. Die meisten der auf B1 behandelten Patientinnen oder Patienten leiden unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder unter irgendeiner Form der Essstörung – wie beispielsweise Anorexie, Bulimie oder Binge Eating (genauere Informationen zu den Krankheitsbildern finden Sie im Kasten unten).
Dabei sind die Patientinnen und Patienten in ihrem Verhalten und in ihrer Persönlichkeit sehr unterschiedlich. «Wenn man hier auf B1 arbeitet, muss man deshalb sehr mitfühlend sein», weiss Alina Siegfried, «hier funktioniert sehr viel über persönliche Beziehungen, die man zu den Patientinnen und Patienten aufbaut. Und: Man muss es aushalten können, viel zu diskutieren und alles und jedes auszuhandeln. Je nachdem muss man das gleiche Problem jeden Tag aufs Neue wieder neu lösen.» Dies lerne man aber in der Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau HF / zum diplomierten Pflegefachmann HF, erklärt Siegfried weiter.
Wer hier arbeiten möchte, der braucht diese zweijährige Zusatzausbildung, denn die Anforderungen – psychisch und physisch – sind auf einer psychosomatischen Station einfach etwas anders als auf einer «normalen» Pflegestation. «Man muss schon eine dicke Haut und eine gefestigte Persönlichkeit haben, um nicht plötzlich selbst in Verunsicherung zu geraten. Und: Oft übernimmt man auch eine Art Mutter- oder Vaterrolle, das ist nicht immer ganz einfach», erklärt Alina Siegfried, «aber hier auf Station sind wir zum Glück ein eingespieltes und humorvolles Team, das sich gegenseitig Halt gibt».
Jede/r vom Team hat sechs Patientinnen und Patienten, die speziell ihr oder ihm zugeteilt sind. Das bietet den Vorteil, dass man sich vertiefter als gewöhnlich mit ihnen auseinandersetzen kann und durch die enge Vertrauenssituation oft besser an die Patientinnen und Patienten herankommt, wenn irgendein Problem besteht oder neu auftaucht. Oft führt Alina Siegfried mit «ihren» Patientinnen und Patienten sehr lange Gespräche. «Dies ist wichtig, damit die Patientinnen und Patienten spüren, dass sie ernst genommen werden. Nur so lassen sich Probleme gemeinsam angehen und lösen», erklärt sie. Die meisten Patientinnen und Patienten sind sehr motiviert, aus ihrer Krise herauszukommen und zeigen eine grosse Bereitschaft zur Veränderung. Oft sind sie auch sehr überrascht, welche Ressourcen in ihnen schlummern und was sie alles erreichen können – mit oft nur wenigen Tipps und Hilfestellungen.
Trotzdem gibt es auch Situationen, in denen «alle Stricke reissen» und eine Patientin oder ein Patient derart angespannt ist und sich nicht mehr selbst regulieren kann, dass einer der gelernten «Skills» zur Anwendung kommt – damit es nicht zu einem selbstverletzenden Verhalten kommt. Diese Skills lenken von der aktuellen Anspannung ab und beruhigen so die aufgebrachte Patientin oder den aufgebrachten Patienten. Im sogenannten «Skillskoffer» befinden sich beispielsweise Gegenstände zum Zusammendrücken, Gummibänder zum Auseinanderziehen, Bälle mit «Stacheln», um den Schmerz an eine andere Stelle zu verfrachten, aber auch kleine Geduldsspiele oder kleine Dosen mit Gerüchen, welche die Aufmerksamkeit weg vom eigentlichen Problem lenken. Vieles läuft generell über die fünf Sinne: So ist es auch möglich, dass auf etwas Scharfes – zum Beispiel eine Chilischote – gebissen wird oder die Lieblingsmusik zum Einsatz kommt, wenn die Situation aus dem Ruder zu laufen droht.
Obwohl auf B1 viele kleine und grosse Feuer gelöscht werden müssen, gibt es auch Stunden, in denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen einfach mal fallen lassen können und sein können. Im geschützten Rahmen reden, lachen und spielen sie zusammen – und das oft stundenlang. «Am Abend kommt dann manchmal fast ein bisschen Lagerstimmung auf bei unseren Patientinnen und Patienten», schmunzelt Alina Siegfried, «und das ist es doch, was wir ihnen eigentlich für ihr ganzes Leben wünschen: Dass sie unbeschwert sein können und sich so entfalten dürfen, wie sie es möchten».
Alina Siegfried ist sich sicher, dass sie auch künftig in der Psychosomatik bleiben will: «Ich finde es sehr erfüllend, unsere Patientinnen und Patienten in ihrer schwierigen Lebensphase begleiten und unterstützen zu dürfen. Und wenn sie sich dann durch uns gestärkt auf den Weg zurück in ihr Leben machen, dann freut mich das immer wieder aufs Neue».
Borderline-Persönlichkeitsstörung: Die Borderline-Störung ist eine Persönlichkeitsstörung, die durch Impulsivität und Instabilität von Emotionen und Stimmung, der Identität sowie zwischenmenschlichen Beziehungen charakterisiert ist. Betroffene erleben sich als Opfer ihrer eigenen heftigen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen, was zu extremer innerlicher Anspannung führen kann. Viele Betroffene setzen selbstschädigende Verhaltensweisen ein, um diese Anspannung zu verringern.
Anorexie (Magersucht): Eine Anorexie besteht dann, wenn der Body-Mass-Index (BMI) unter 17,5 kg/m2 liegt und eine ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme besteht. Betroffene führen den Gewichtsverlust selbst herbei, indem sie die Nahrungsaufnahme vermeiden und/oder gegenregulierende Massnahmen einsetzen wie übermässige körperliche Aktivität oder das Einnehmen von Abführmitteln, Appetitzüglern und entwässernden Medikamenten. Wahrnehmung und Beurteilung der eigenen Figur und des eigenen Gewichts sind verzerrt, so dass sich die Betroffenen bezüglich Körpergewicht und -umfang nicht mehr realistisch einschätzen können.
Bulimie (Ess-Brech-Sucht): Die Bulimie ist eine Essstörung mit wiederholten anfallartigen Heisshungerattacken, bei denen in kurzer Zeit grosse Mengen meist besonders fett- und zuckerreicher Lebensmitteln zugeführt werden. Anschliessend versuchen die Betroffenen, die aufgenommene Nahrung durch bestimmte Massnahmen wieder loszuwerden: am häufigsten durch selbst ausgelöstes Erbrechen. Auch Fasten, exzessive körperliche Betätigung und der Missbrauch von Abführmitteln, Diuretika (Arzneimittel zur Ausschwemmung von Wasser) und anderen Medikamenten (z.B. Schilddrüsenhormonen) gehören zu diesen Massnahmen.
Binge-Eating-Störung: Patientinnen und Patienten mit einer Binge-Eating-Störung (BES) erleiden wiederholte Episoden unkontrollierten Essens. Auslösend für das unkontrollierte Essen sind meist unangenehme Stimmungen, innere Anspannung, zwischenmenschliche Probleme, der Reiz attraktiver Nahrungsmittel oder auch der Hunger nach einer Phase kontrollierten Essens. Während des Essens fühlen sie sich kurzfristig erleichtert. Danach empfinden sie aufgrund des erlebten Kontrollverlusts Ekel-, Scham- und Schuldgefühle und Traurigkeit. Im Gegensatz zur Bulimie verläuft die Binge-Eating-Störung aber ohne gegenregulierende Massnahmen. Dies führt dazu, dass die meisten Betroffenen Übergewicht oder eine Adipositas (BMI > 30) entwickeln.
Binge-Eating-Störung: Patientinnen und Patienten mit einer Binge-Eating-Störung (BES) erleiden wiederholte Episoden unkontrollierten Essens. Auslösend für das unkontrollierte Essen sind meist unangenehme Stimmungen, innere Anspannung, zwischenmenschliche Probleme, der Reiz attraktiver Nahrungsmittel oder auch der Hunger nach einer Phase kontrollierten Essens. Während des Essens fühlen sie sich kurzfristig erleichtert. Danach empfinden sie aufgrund des erlebten Kontrollverlusts Ekel-, Scham- und Schuldgefühle und Traurigkeit. Im Gegensatz zur Bulimie verläuft die Binge-Eating-Störung aber ohne gegenregulierende Massnahmen. Dies führt dazu, dass die meisten Betroffenen Übergewicht oder eine Adipositas (BMI > 30) entwickeln.
Toller Beitrag.