Schwere Covid-19-Verläufe: Stationäre Reha wirkt

Von Gilbert Büsching, Jonas Rey und Martina Leser
Lesedauer: 6 Minuten

Vieles spricht dafür, dass die stationäre pulmonale Rehabilitation auch bei schweren Covid-19-Verläufen erfolgreich ist. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Barmelweid Akademie hat gezeigt, dass eine stationäre pulmonale Rehabilitation – unabhängig von der Schwere der Erkrankung – die körperlichen Funktionen und die Lebensqualität effektiv verbessern. An zwei Fallbeispielen zeigen dies die Mitautoren Gilbert Büsching und Jonas Rey in der Zeitschrift «Physioactive» eindrücklich auf. Trotzdem: Nicht bei allen Covid-19-Patientinnen und Patienten verläuft die Heilung so gut und viele leiden auch trotz Reha an Langzeitfolgen, die durch Corona verursacht sind.

Die gute Nachricht vorab: Die stationäre pulmonale Rehabilitation hilft – auch bei Patientinnen und Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf. Dies haben die Daten von 51 Patientinnen und Patienten gezeigt, welche die Barmelweid Akademie wissenschaftlich ausgewertet hat. Die Studie kam zum Ergebnis, dass die Patientinnen und Patienten einen ähnlichen Rehabilitationserfolg bei der funktionellen Leistungsfähigkeit, der Lebensqualität und bei den Alltagsfähigkeiten erreichen, wie Patientinnen und Patienten mit anderen Pneumonien (= Lungenentzündungen). Dass die Rehabilitation wirkt, bedeutet aber nicht, dass die Patientinnen und Patienten wieder auf ihr Gesundheitslevel vor der Corona-Erkrankung zurückkommen. Viele von ihnen leiden auch über einem Jahr nach ihrer Ansteckung an Langzeitfolgen, die zum Teil gravierend sind für Ihren (Arbeits-) Alltag.

Im Interview hier im Blog zeigen Jonas Rey (Leiter Therapien) und Gilbert Büsching (Physiotherapeut und Verantwortlicher Forschung und Qualität im Bereich MTD) auf, welche Erfahrungen sie mit der stationären pulmonalen Rehabilitation bei Covid-19-Patientinnen und Patienten gemacht haben und welche Schicksale sie besonders berühren – und berichten über zwei Patienten, die ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind, da ihre Therapie-Erfolge erstaunlich sind und sie damit auch anderen Patientinnen und Patienten Hoffnung geben können.

Jonas Rey und Gilbert Büsching, die pulmonale Reha bei Covid-19-Patientinnen und -Patienten wirkt. Wie war es möglich, dies so schnell wissenschaftlich zu belegen?

Gilbert Büsching: Möglich gemacht haben dies zwei Faktoren: die grosse Zahl an Covid-19-Patientinnen und -Patienten, die wir auf der Barmelweid seit Pandemiebeginn behandelt haben und die Zusammenarbeit in der Barmelweid Akademie, die neu von Prof. Dr. Ramin Khatami ins Leben gerufen wurde. Bis Mitte Oktober 2021 haben auf der Barmelweid über 750 Covid-19-Patientinnen und -Patienten eine stationäre pulmonale Rehabilitation durchlaufen. 51 aus der ersten Welle von ihnen haben wir in unsere Studie aufgenommen und haben ihre Therapie-Ergebnisse mit denjenigen von 51 Patientinnen und Patienten verglichen, die eine andere Pneumonieform aufwiesen. Die Auswertungen der Ergebnisse des Sechs-Minuten-Gehtests (6MWT), des chronischen Atemwegsfragebogens (CRQ) und des Functional Independence Measure (FIM) haben ergeben, dass Covid-19-Patientinnen und -Patienten ähnlich gute Rehabilitationserfolge erreichen, wie Patientinnen und Patienten mit anderen Pneumonien.

In eurem Bericht in der aktuellen Ausgabe von «Physioactive» schreibt ihr, dass eine komplette Genesung möglich erscheint.

Jonas Rey: Genau. Der Einzelfall von Herrn P. – sowie verschiedene Studienergebnisse – bekräftigen die Hypothese, dass auch nach einer schweren Covid-19-Erkrankung eine nahezu komplette Genesung möglich ist, wobei in den meisten Fällen vor allem in den ersten drei Monaten nach der Erkrankung die grössten Fortschritte zu sehen sind. Herr P. kam im Mai 2020 zunächst für 5 Wochen zu uns in die stationäre pulmonale Rehabilitation und setzte danach sein Programm zu Hause fort. Sein vorbildliches Training und seine Hartnäckigkeit haben sich ausgezahlt: Heute spürt er nur noch bei anstrengenden Tätigkeiten eine Limitierung in seiner Leistungsfähigkeit sowie eine ungewohnte Erhöhung der Pulsfrequenz, seine Sauerstoffsättigung ist von 74% auf 92% (nach einem Jahr) gestiegen. Normwerte liegen zwischen 90 und 99 %. Auch seine aktuelle durchschnittliche Schrittzahl mit 8435 Schritten am Tag bestätigt seine Fortschritte eindrücklich.

Das gibt Hoffnung! Ihr schreibt in eurem Bericht, dass euch ein Patient ganz besonders in Erinnerung geblieben ist, der unter einem sehr ausgeprägten Sauerstoffmangel litt. Wie verlief seine Reha?

Gilbert Büsching: Der Sauerstoffmangel war durch die Lungenentzündung der Covid-19-Erkrankung bedingt, da der Austausch durch die Entzündung verringert war. Dieser Patient erhielt zu Beginn 26 Liter Sauerstoff zusätzlich pro Minute (mit einer Maske mit Reservoir und Nasenbrille gleichzeitig), und trotzdem betrug seine Sauerstoffsättigung bei alltäglichen Aktivitäten nur 55%. Solche tiefen Werte hätte ich nie für möglich gehalten! Eine Maskenanpassung mit künstlicher Beatmung war bei ihm nicht möglich. Bei ihm konnten wir zu Beginn seiner stationären Rehabilitation einzig ein äusserst behutsames segmentales Muskeltraining im Liegen mit angepasster Atemkoordination und langen Pausen zwischen den Serien (2–3 Minuten) durchführen.

Jonas Rey: Genau. Im Laufe der stationären Reha konnten wir mit Trainingseinheiten auf der Vibrationsplatte für den Kraftaufbau beginnen, welche die Atmung und das Herz-Kreislaufsystem nur sehr wenig belasten. Im Verlauf konnte er dann ein begleitetes Gehtraining mit Atemkoordination am Rollator mit zwei zusammengeschlossenen mobilen Sauerstoffgeräten durchführen. Über wenige Wochen steigerte er seine Gehdistanz von wenigen Schritten im Zimmer auf zirka 100 Meter im Gang auf der Station. Später konnten unsere Therapeutinnen und Therapeuten mit ihm die Ausdauer auf dem Standvelo nach und nach mit höheren Intensitäten in Intervallform trainieren. Nach acht Wochen Rehabilitation erreichte er mit 14 Litern zusätzlichem Sauerstoff eine Sauerstoffsättigung von über 80%, auch bei anstrengenderen Aktivitäten, wie z.B. Treppensteigen. Wie seine Werte ein Jahr nach seiner Covid-19-Erkrankung sein werden, das werden wir aber erst zu einem späteren Zeitpunkt sehen. Er konnte mit einer mobiler Sauerstoffversorgung und weitere Unterstützung nach Hause entlassen werden.

Eine Sauerstoffsättigung von rund 80% klingt für mich aber nach wenig. Was bedeutet diese Zahl für den Patienten in seinem Alltag?

Gilbert Büsching: Eine Sauerstoffsättigung von 80 % heisst für den Patienten, dass er seine momentane Aktivität abbrechen und eine Pause von mehreren Minuten einlegen muss, damit sich der Wert auf eine Norm von über 90% erholt. Dadurch wird der Patient sein Tempo im Alltag bei fordernden Aktivitäten verlangsamen und eine Strategie finden müssen, um seine Energien optimal einzuteilen.

Jonas Rey: Richtig. Und die Sauerstoffabhängigkeit bedeutet, dass er einen mobilen Tank ausserhalb der Wohnung mit sich führt (siehe Bild). Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich durch den Nasenschlauch auch kosmetisch sehr beeinträchtigt und der Tank reicht auch nur für eine begrenzte Zeit. Der Aktionsradius der Betroffenen schränkt sich dadurch enorm ein.

Gilbert Büsching: Zusammenfassend kann man also sagen: Im Allgemeinen kann die Rehabilitation den Krankheitszustand nach einer schweren Infektion deutlich verbessern. Für die Patientinnen und Patienten und ihr Umfeld ist die ganze Situation aber sehr einschneidend – dies unter anderem auch deshalb, da die Betroffenen ungefähr 5 Wochen (2 Wochen Akutspital und 3 Wochen Rehabilitation) von ihrer gewohnten Umgebung weg sind. Zudem ist bei vielen Patientinnen und Patienten nach ihrer Rückkehr nach Hause jeweils noch ungewiss, ob alle Einschränkungen mit der Zeit verschwinden.

Stationäre pulmonale Rehabilitation bei Covid-19 auf der Barmelweid
Bis heute haben auf der Barmelweid über 750 Covid-19-Patientinnen und -Patienten eine stationäre pulmonale Rehabilitation durchlaufen, wobei die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei 23 Tagen lag.

In der Studie «Effectiveness of Pulmonary Rehabilitation in Severe and Critically Ill COVID-19 Patients: A Controlled Study» wurden die Therapie-Ergebnisse von 51 Covid-Patientinnen und -Patienten mit denjenigen von 51 Patientinnen und Patienten verglichen, die eine andere Pneumonieform aufwiesen.

Im Beitrag «Stationäre Rehabilitation nach Covid-19: ein Update» in der aktuellen «Physioactive»-Ausgabe werden zwei Fallbeispiele genauer aufgegriffen und die Therapie-Ergebnisse erläutert.

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