Von Dr. med. Thomas Sigrist und Martina Leser
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Die Tuberkulose, im Volksmund auch als «Schwindsucht» bekannt, konnte mit der steigenden Hygiene, dem breiten Einsatz der Impfung nach Ende des zweiten Weltkriegs sowie neuen, medikamentösen Behandlungsoptionen stark eingedämmt werden. Im Blogbeitrag zum Welt-Tuberkulose-Tag werfen wir zusammen mit unserem Leiter Departement Innere Medizin und Chefarzt Pneumologie, Dr. med. Thomas Sigrist, einen Blick zurück auf die Krankheit, die mittlerweile fast gänzlich aus unserem Bewusstsein verschwunden ist.
Die Tuberkulose, im Volksmund auch als «Schwindsucht» bekannt, ist eine sehr «alte» Krankheit: Wissenschaftler fanden schon bei ägyptischen Mumien (3000 v. Chr.) durch Tuberkulose zerstörte Knochen. Die ersten Aufzeichnungen über die Krankheit und deren Verlauf stammen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus und wurden von Hippokrates verfasst. Ab dem Mittelalter trat die Krankheit dann immer mal wieder gehäuft in Ballungsgebieten auf.
Am 24. März 1882 gab Robert Koch die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers bekannt. Damit wurde die Tuberkulose zu einer diagnostizierbarbaren, behandelbaren Erkrankung. Die Tuberkulose war eine typische Armen-Krankheit: Beengte Lebensverhältnisse und schlechte Hygienezustände ermöglichten dem Haupterreger Mycobacterium tuberculosis ein leichtes Spiel. Ende des 19. Jahrhunderts war ungefähr jeder sechste Todesfall im deutschsprachigen Raum auf Tuberkulose zurückzuführen – in Hochzeiten sogar jeder zweite.
Als Therapie der Wahl entwickelte sich in dieser Zeit die sogenannte «Luftkur», bei welcher Erkrankte sechs Stunden täglich in Decken eingewickelt an freier Luft liegen mussten. Dies war auch die Zeit, in der viele Tuberkulose-Sanatorien gegründet wurden – so auch das Sanatorium auf der Barmelweid. 1912 startete die Barmelweid mit 69 Betten für Tuberkulose-Erkrankte. Bereits einige Jahre später waren es dann schon 175 Betten, 55 davon für Kinder.
Impfung und neue Medikamente als Gamechanger
Durch die unglaublich hohe Zahl an Erkrankten und Todesfällen setzte die Wissenschaft sich Anfang des 20. Jahrhunderts vertieft mit einer Impfung gegen Tuberkulose auseinander. 1906 gelang die erste Immunisierung im Tierversuch. Am Menschen wurde der Impfstoff dann erstmals 1921 – also vor etwas mehr als 100 Jahren – erfolgreich in Frankreich eingesetzt. Zur breiten Anwendung in Europa kam er dann aber erst nach dem zweiten Weltkrieg.
Neben der Impfung trugen zwei weitere Faktoren massgeblich zur erfolgreichen Bekämpfung der Tuberkulose bei: Zum einen verbesserten sich die Hygiene-Massnahmen stetig (sie stehen in direktem Zusammenhang mit der Häufigkeit von Tuberkulose-Erkrankungen – ein klarer Zusammenhang zeigt sich beispielsweise bei Kriegen: In Kriegszeiten nehmen Tuberkuloseinfektionen jeweils deutlich zu, da die Standardhygiene nicht mehr gewährleistet werden kann). Zum anderen ist die Entwicklung der tuberkulostatischen Medikamente zu erwähnen, die ein weiterer Meilenstein in der Bekämpfung von Tuberkulose waren. So wurde 1948 das erste gegen die Tuberkulose wirksame Medikament mit dem Namen Streptomycin auf den Markt gebracht.
Heute erkranken in der Schweiz pro Jahr noch etwa 550 Personen an Tuberkulose, gegen die Infektionskrankheit geimpft wird nur noch in Ausnahmefällen.
Ansteckung bedeutet nicht immer, dass die Krankheit auch ausbricht
Tuberkulose wird durch bestimmte Arten von Mykobakterien verursacht, am häufigsten durch Mycobacterium tuberculosis. Dabei wird zwischen zwei verschiedenen Erkrankungsformen unterschieden, wie unser Leiter Departement Innere Medizin und Chefarzt Pneumologie, Dr. med. Thomas Sigrist, klärt auf: «Die ‚geschlossene‘ Form der Erkrankung ist nicht ansteckend, während bei der ‚offenen‘ Form die Bakterien durch eine Tröpfcheninfektion übertragen werden können, also beispielsweise durch Husten oder Niesen.» Die Tröpfchen schweben dann in der Raumluft und können von anderen anwesenden Personen eingeatmet werden. Für eine Ansteckung ist in der Regel jedoch der Aufenthalt im gleichen Raum über mehrere Stunden mit nahem Kontakt zur infizierten Person Infizierten hinweg nötig.
Ob sich eine Person mit Tuberkulose angesteckt hat, ist erst nach ungefähr zwei Monaten nachweisbar. Und: Nur 5 bis 10 Prozent der Personen mit einer frischen Ansteckung erkranken später tatsächlich daran. Wenn jemand erkrankt, dann am ehesten innerhalb von zwei Jahren – in seltenen Fällen kann die Krankheit aber auch erst nach mehreren Jahren ausbrechen. Gefährdet sind vor allem Kleinkinder und immungeschwächte Personen (z.B. durch eine HIV-Infektion oder Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems).
Tuberkulose betrifft meist die Lunge – aber nicht immer
Die Tuberkulose betrifft in 70 bis 80 Prozent der Fälle die Lunge, kann aber auch andere Organe befallen. Typische Symptome sind Husten – zum Teil mit blutigem Auswurf – Fieber, Atemnot, Brustschmerzen und Gewichtsabnahme. Die Tuberkulose ist mit speziellen Antibiotika (sogenannten Tuberkulostatika) meist gut behandelbar, wobei die Behandlung langwierig ist und über mindestens sechs Monate hinweg fortgesetzt werden muss. Ohne Behandlung verläuft die Tuberkulose oft (nach längerer Erkrankung) tödlich.
Kapselt sich der Tuberkulose-Erreger von der Lunge ab, können sich die Bakterien im Körper ausbreiten und prinzipiell jedes andere Organ befallen. Dr. med. Thomas Sigrist erklärt: «Die Tuberkulose kann auf ein einzelnes Organ begrenzt sein oder in Kombination mehrere Organe befallen, das nennt man dann eine ‘disseminierte Tuberkulose’. Besonders bei Personen mit einer eingeschränkten Immunabwehr besteht dann die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs.»
Ein weiteres Problem: Auch Jahre später kann es durch die Reaktivierung eines Organherds zu einer Tuberkulose ausserhalb der Lunge kommen, beispielsweise zu einer Knochen-, Gelenk- oder Urogenitaltuberkulose.
Multiresistente Keime nehmen zu
Während die Tuberkulose in der Schweiz fast ausgerottet ist, gibt es die Krankheit in anderen Teilen der Welt sehr häufig: Ein Drittel der Weltbevölkerung ist infiziert, pro Jahr stecken sich ungefähr 10 Millionen Menschen mit Tuberkulose an und ungefähr 2 Millionen Menschen sterben daran jedes Jahr.
«Immer problematischer werden dabei multiresistente Tuberkulose-Keime, gegen welche die gängigen Tuberkulose-Medikamente versagen», sagt Thomas Sigrist. Doch wie kommt es zu solchen Resistenzen? Der Pneumologe erklärt: «Werden Antibiotika nicht regelmässig eingenommen oder wird eine Antibiotika-Therapie abgebrochen, bevor alle Bakterien abgetötet sind, dann führt das dazu, dass die überlebenden Bakterien Resistenzen gegen die Tuberkulose-Medikamente entwickeln.»
Etwa 465’000 Menschen sind gemäss Weltgesundheitsorganisation WHO 2020 an einer multiresistenten Tuberkulose erkrankt. Insbesondere in Russland, Osteuropa und Zentralasien wird ein signifikanter Anstieg von Tuberkulose-Fällen verzeichnet, bei denen die Tuberkulose-Erreger gegen Tuberkulostatika resistent sind.
Von einer Resistenz betroffene Tuberkulose-Patientinnen und -Patienten müssen spezielle, oft aber leider weniger wirksame Medikamente – und oft leider auch mit schwerwiegenden Nebenwirkungen – einnehmen. Auch die Therapiezeit verlängert sich bei einer Resistenz von sechs Monaten auf bis zu zwei Jahre. «Das oberste Ziel ist und bleibt es deshalb, die Ersterkrankung frühzeitig zu diagnostizieren und die Krankheit vollständig auszutherapieren», weiss Thomas Sigrist.
Quellen / Weiterführende Informationen:
• BAG
• Robert Koch Institut
• Bundesministerium für Gesundheit
• Medecins sans frontiers
• Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe
• baselland.ch