«Die Barmelweid ist eine echte Vorreiterin»

Von Susann Koalick und Martina Leser
Lesedauer: 4 Minuten

Immer mehr Spitäler und Gesundheitseinrichtungen lassen sich vom Forum Tabakprävention in Gesundheitsinstitutionen Schweiz (FTGS) zertifizieren. Eine der ersten Kliniken, die sich hat zertifizieren lassen – und mittlerweile das Gold-Zertifikat besitzt – ist die Barmelweid. Dies nicht zuletzt dank des Einsatzes unserer Leiterin Nikotinberatung, Susann Koalick, die gleichzeitig auch FTGS-Präsidentin ist.

Susann Koalick, immer mehr Gesundheitsinstitutionen lassen sich FTGS-zertifizieren – was sind die Benefits einer Zertifizierung?
Ja, es stimmt, dass sich immer mehr Gesundheitsinstitutionen FTGS-zertifizieren lassen, und das ist grossartig. Mit einer FTGS-Zertifizierung investieren die Unternehmen in ihre Zukunft: Sie zeigen nach aussen ihr Commitment, sich dafür einzusetzen, dass ihre Patientinnen und Patienten rauchfrei werden. Das ist auch ein sehr wertvolles Statement an Krankenkassen, Krankenversicherungenund Zuweiser/ Überweisende – und erhöht beispielsweise das Level bei anderen Zertifizierungen in der Qualitätssicherung. Bei der Barmelweid ist das beispielsweise die EFQM-Zertifizierung.

Darüber hinaus werden diese Unternehmen für (potenzielle) Mitarbeitende attraktiver, indem sie intern – beispielweise im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements – gezielt Programme für ihre Mitarbeitenden anbieten, mit dem Rauchen aufzuhören und rauchfrei zu bleiben. Unter Fachpersonen ist das FTGS-Zertifikat sehr angesehen und die zertifizierten Unternehmen bilden untereinander ein gutes und starkes Netzwerk.

Wie sieht es in der Realität aus, wenn eine Patientin oder ein Patient mit Folgeerkrankungen in ein Spital kommt, das keine Massnahmen zur Tabakprävention ergriffen hat?
In der Regel bedeutet dies viele verlorene Wochen – hier ein Beispiel: Ein Patient, der bei mir in der Nikotinberatung war, wollte sich in einem Akutspital das Knie operieren lassen. Er hatte Schmerzen und wollte die Operation zügig durchführen lassen. Er trat ins Akutspital ein und erfuhr dort, dass er aufgrund seines hohen Tabakkonsums nicht operiert werden könne; zu hoch seien die Risiken für die bereits in Mitleidenschaft gezogenen Organe Herz und Lunge, und zu schwierig würde die Wundheilung werden. Man schickte ihn in die FTGS-zertifizierte Rehaklinik Barmelweid, in der er fit gemacht wurde für die OP und mit Hilfe der Nikotinberatung bei mir rauchfrei wurde. Erst nach diesem Prozess konnte sein Knie operiert werden. Der Patient musste also wochenlang mit Schmerzen auf die OP warten, weil die involvierten Stellen (Hausarzt, Akutspital) im Bereich der Tabakentwöhnung nicht geschult waren. Diese langen und schmerzvollen Wege wollen wir mit der Zertifizierung immer mehr vermeiden. Je mehr Institutionen sich auf diesem Gebiet weiterbilden, committen und zertifizieren lassen, desto mehr Patientinnen und Patienten profitieren von einem reibungslosen Ablauf ihres «Patient Journeys».

Susann Koalick setzt sich seit vielen Jahren für die Belange der Nikotinberatung auf der Barmelweid ein.

Sich zertifizieren zu lassen heisst, Geld, Zeit und je nachdem auch in die Umgestaltung der Infrastruktur zu investieren. Schreckt der Aufwand eventuell Institutionen ab?
Jein. Ich denke, viele Gesundheitsinstitutionen haben zu grossen Respekt vor dem Aufwand einer Zertifizierung. Die Bronze-Zertifizierung kann jedoch bereits mit relativ geringem Aufwand erreicht werden – sie schliesst nur 2 Standards ein, die erfüllt werden müssen. Was man auch nicht vergessen darf, ist die Tatsache, dass das FTGS-Zertifikat das Einzige ist, das es in der Schweiz in diesem Bereich gibt – man muss sich also nicht zwischen mehreren Anbietern entscheiden und wer FTGS-zertifiziert ist, besitzt ein nach internationalen Standards erstelltes Zertifikat, denn das FTGS arbeitet nach den Richtlinien des Global Network for Tobacco free Healthcare Services (GNTH).

Die Barmelweid verfügte bereits vor ihrer ersten Zertifizierung über eine Nikotinberatung – die Voraussetzung für ein Silber- oder Gold-Zertifikat des FTGS. Wie war der Weg der Barmelweid zu Gold?
Das stimmt. Tatsächlich war es die Klinik Barmelweid, die 1999 als Vorreiterin schweizweit eine der ersten Nikotinberatungen aufgebaut hatte. 2008, als die Nikotinberatung längst ein fester Bestandteil unserer Therapien geworden war, wurde die Zertifizierung nach internationalen Standards ein Thema. Da die Klinik bereits gut aufgestellt war, schaffte sie auf Anhieb die Silber-Zertifizierung. Etwas schwieriger wurde der Weg dann hin zum Gold-Zertifikat: Zwei Mal wurde der Antrag zu Gold abgelehnt, bis es dann beim dritten Mal endlich klappte. Als erste Klinik in der Schweiz hat die Barmelweid dieses Zertifikat erhalten. 2024 nun gilt es, die Rezertifizierung zu schaffen, damit der Gold-Standard auf der Barmelweid erhalten bleibt.

Insbesondere Spitälern kommt eine wichtige Rolle zu, wenn es um den Auf- und Ausbau eines Tabakentwöhnungsprogramms geht, weshalb das?
Das stimmt. Dabei geht es in erster Linie um den «Teachable Moment». In diesem Moment sind Patientinnen und Patienten besonders empfänglich dafür, mit dem Rauchen aufzuhören. Mit Abstand am häufigsten tritt der «Teachable Moment» in einem Akutspital oder in einer Rehaklinik auf, wenn die Betroffenen merken, dass sie – aufgrund des Rauchens – eine Folgeerkrankung haben und ernsthaft krank sind. Dort können Akutspitäler und Rehakliniken ansetzen und beispielsweise mit der Nikotinberatung dafür sorgen, dass die Patientinnen und Patienten weniger – oder gar nicht mehr – rauchen. Es ist wichtig, dann nicht aus Scham wegzuschauen, sondern das Problem in Angriff zu nehmen und den Betroffenen ein professionelles Angebot zu bieten.

Seit Sommer 2022 benutzt die Barmelweid die neue FTGS-Rauchfrei-Signaletik. Was ist der Vorteil daran?
Die neuen FTGS-Signete zeigen einerseits auf, wo Rauchrinnen und Raucher rauchen dürfen, andererseits all diejenigen Bereiche einer Institution, die rauchfrei sind. Wichtig dabei ist, dass auf den Signeten keine durchgestrichene Zigarette zu sehen ist, denn die Forschung zeigt, dass eben diese durchgestrichene Zigarette Raucherinnen und Raucher zusätzlich triggert. Unsere Signete funktionieren nach dem Motto «Hinweise statt Verbote», um eben dieses Triggern zu umgehen. Wer sich für die FTGS-Signete entscheidet, hat grossen Gestaltungsspielraum: So können die Signete in verschiedenen Sprachen angepasst werden und in denjenigen Farben umgesetzt werden, welche die Institution wünscht. Eingesetzt werden können die Signete dann beispielsweise als Kleber, als Bodenmarkierung oder als klassische Metallschilder. Die Barmelweid hat sich für eine klassische Schwarz-Weiss-Variante entschieden. Bei den Raucherinnen und Rauchern stossen die Signete auf grosse Akzeptanz, das Rauchen innerhalb der Raucherzone wird insgesamt sehr gut eingehalten und das Barmelweid-Personal hat viel weniger Standort-Diskussionen mit den Rauchenden.

Was sind die nächsten Ziele, die Sie auf der Barmelweid mit der Nikotinberatung / Tabakentwöhnung anstreben?
Die individuelle Begleitung ist sehr wichtig, angepasst an die verschiedenen Disziplinen und Krankheitsbilder. Wir berücksichtigen dies bereits sehr gut. Für die Zukunft ist es wichtig, dass wir unser Wissen teilen – intern wie extern. Am 16. April 2024 findet die 10. Nikotintagung statt in der Barmelweid, eine Fachtagung für Gesundheitspersonal und Fachpersonen der Tabakprävention mit dem Titel «Erkenntnisse und Visionen». Eine gute Gelegenheit, voneinander zu lernen und sich auszutauschen.

Bald ist Neujahr. Was sind ihre Tipps für Rauchende, die motiviert sind, 2024 mit dem Rauchen aufzuhören? Wie gelingt der Stopp am besten?
Der Nikotinkonsum ist oft im Alltag integriert und beeinflusst die Gewohnheiten. Wichtig ist, sich seiner Gewohnheiten bewusst zu werden, vielleicht z. B. ein Nikotintagebuch während drei bis fünf Tagen zu führen, um zu schauen, wo die Stolpersteine und Rückfallgefahren sein könnten.

Wichtig ist auch, sich seiner Gründe bewusst zu werden und diese zu stärken: Wozu will ich rauchfrei werden? Wieso strebe ich dieses Ziel an?

Diese Schritte gehören in eine gute Vorbereitung des Rauchstopps und sind sehr wichtig, damit das Vorhaben gelingt.

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