Der Wald rund um die Barmelweid: Früher, heute, und wie er in Zukunft sein wird

Von Martin Blattner und Martina Leser
Lesedauer: 6 Minuten

Die Barmelweid liegt – eingebettet ins Juragebiet und mitten im Naturwaldreservat Egg-Königstein – in einer Lichtung auf knapp 800 Metern über Meer. Der Wald rund um die Barmelweid hat nicht immer so ausgesehen, wie er jetzt aussieht. Im Blog wagen wir einen kurzen Blick zurück in der Geschichte, schauen aber auch in die Zukunft und erklären, warum es immer mehr trockenheitstolerantere Baumarten geben wird in Zukunft.

Das Juragebiet im Kanton Aargau umfasst den nordwestlichen Teil des Kantons und grenzt an den Kanton Solothurn und den Kanton Basel-Landschaft. Es ist eine hügelige und landwirtschaftlich geprägte Region, die bekannt ist für ihre Wälder, Gehölze, Hecken, Wiesen und Äcker sowie für ihre Obstplantagen und Weinberge. Und mittendrin: Die Barmelweid als Teil des Naturwaldreservats Egg-Königstein.

Das Naturwaldreservat Egg-Königstein ist mit seinen 240 Hektaren Fläche das grösste seiner Art im Kanton Aargau. Wie der Kanton Aargau selbst sagt, ist das Reservat ein «Gemeinschaftswerk», das sich aus Waldflächen der Ortsbürgergemeinden Aarau, Erlinsbach und Küttigen, der Einwohnergemeinde Erlinsbach, des Kantons sowie einigen privaten Waldeigentümern zusammensetzt. Mit den Gemeinden und den privaten Eigentümern wurde im Jahr 2000 vertraglich vereinbart, dass sie für 50 Jahre auf die Nutzung ihrer Waldteile verzichten.

Auf drei Vierteln der Fläche kann sich der Wald so frei entwickeln. «In einzelnen Gebieten, wo der Schutz seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten im Vordergrund steht, wird teilweise lenkend in den Waldbestand eingegriffen», erklärt Förster und Betriebsleiter des Forstbetriebs Jura, Martin Blattner. Dies zum Beispiel, um die seltene Juraviper zu fördern und ihren Lebensraum aufzuwerten.

Martin Blattner, Förster und Betriebsleiter des Forstbetriebs Jura, setzt sich gezielt für die Erhaltung gefährdeter Tier- und Pflanzenarten ein. Foto: Forstbetrieb Jura.

Vom Urwald zum Wirtschaftswald
Vollständig naturbelassene Wälder, also Urwälder, gibt es heute in der Schweiz nur noch im Gebirge. Die Wälder des Mittellands und des Juras sind Wirtschaftswälder, welche allesamt von Menschen angelegt wurden und zu einem Grossteil bewirtschaftet werden. Blicken wir kurz zurück in der Geschichte: Noch vor 7000 Jahren war die Schweiz mehr oder weniger ein grosser Urwald. Dies änderte sich, als die Menschen sesshaft wurden. Sie brauchten plötzlich Land für ihre Äcker und Baumaterial für ihre Häuser und Höfe.

Und so holten sie sich immer häufiger und in immer grösseren Mengen das aus dem Wald, was sie für den Bau und ihr tägliches Leben benötigten: Holz, um ihre Häuser, Höfe und Ställe zu bauen, Laub zum Füttern ihrer Tiere, Honig, Beeren, Wildfrüchte, Pilze und Kräuter in der Küche. Bald merkten die Menschen auch, dass der Wald ein profitables Geschäft war: Der Raubbau am Wald begann.

Auswirkungen des Raubbaus und Einführung des Waldgesetzes 1876
Bis ins 19.Jahrhundert nahm der «Holzhunger» ein fast unkontrolliertes Mass an – was nicht ohne Folgen blieb: Der Raubbau am Wald führte im 19. Jahrhundert in der Schweiz dazu, dass die abgeholzten Böden das Regenwasser nicht mehr in genügendem Mass aufnehmen konnten. Es gab immer häufiger Überschwemmungen, Steinschläge, Hangrutsche und Lawinen – zum Teil mit katastrophalen Folgen.

Das Gebiet rund um die Barmelweid ist hügelig (Steinschlaggefahr), deshalb ist es wichtig, dass der Wald intakt ist.

Erst durch das Waldgesetz (Forstpolizeigesetz) von 1876 wurde eine konkrete Walderhaltungspolitik eingeführt. Bundesrat Moritz Leuenberger sagte 2001 anlässlich des 125 Jahre lang geltenden Waldgesetzes: «Katastrophen haben unsere Vorfahren vor 125 Jahren gezwungen, den Wald rigoros zu schützen. Die Schweiz hat den Wald reden gehört, seine Warnungen ernst genommen und mit dem modernen Umweltschutz begonnen.»

Das Revolutionäre am Waldgesetz von 1876 war die Erkenntnis, dass jede Generation Anrecht auf die gleichen Ertragsmöglichkeiten haben sollte. Das Gesetz bestimmt, dass immer nur die «Zinsen» – also das nachwachsende Holz – genutzt werden dürfen. Das «Kapital» jedoch – der Holzvorrat – darf nicht angetastet werden. Mit dieser Vorgabe wurde das Waldgesetz von 1876 zum Vorbild weltweit.

«Dass nicht mehr Holz gerodet werden darf als nachwachsen kann, kam beispielsweise auch beim Ausbau der A1 vor einigen Jahrzehnten zum Tragen», erinnert sich Förster Martin Blattner, «Wald, der für den Bau der Autobahn gerodet werden musste, wurde auf der Barmelweid wieder angepflanzt – das heisst, es wurde direkt Realersatz geschaffen.»

Durch gezielte Massnahmen: Der Wald hat sich erholt
Mit dem neuen Waldgesetz hat sich die Schweizer Waldfläche seit 1876 wieder markant vergrössert. Einst kahle Berge sind heute wieder bewaldet und die Gebirgstäler sind wieder bewohnbar, weil der Wald sie schützt. Naturkatastrophen, wie sie sich im 19. Jahrhundert gehäuft hatten, sind dank der besseren Bewaldung und dank der gezielten Waldpflege stark zurückgegangen. Gleichzeitig hat die Bedeutung des Waldes als Ressource für Tierhaltung oder als Brennstoff zum Heizen abgenommen.

«Um naturähnliche Wälder zu fördern, werden lichte Wälder und Naturwaldreservate – wie beispielsweise das Naturwaldreservat Egg-Königstein rund um die Barmelweid – von den Kantonen gezielt gefördert», weiss Martin Blattner. Damit ist der heutige Wald multifunktional geworden: Er liefert Holz, produziert Sauerstoff, filtert wertvolles Trinkwasser, ist Lebensraum für Wildtiere, Insekten und Pflanzen und schützt jetzt auch wieder vor Naturgefahren – wie zum Beispiel vor Steinschlag, der im Juragebiet immer mal wieder vorkommt.

Das Gebiet rund um die Barmelweid liefert frisches Quellwasser.

Er bietet aber auch Konfliktpotenzial, da er für alle frei zugänglich ist (auch Privatwaldgelände darf nicht abgezäunt werden) und dadurch von unterschiedlichsten Anspruchsgruppen genutzt wird: Die einen suchen im Wald Ruhe, die anderen wollen Action, zum Beispiel Bikerinnen und Biker. Bei Letzteren entstehen für die im Wald lebenden Tiere ernsthafte Probleme, wenn sie kreuz und quer durch den Wald fahren: Die Tiere können nicht mehr zur Ruhe kommen und befinden sich dadurch im Dauerstress. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Bikerinnen und Biker sich nur auf den Waldstrassen bewegen.

Der Wald der Zukunft
Positiv ist, dass sich der Wald heute zu einem Grossteil selbst verjüngt und wenig neu gepflanzt werden muss. Das, was gepflanzt wird, sind heutzutage zu einem Grossteil Baumarten, von denen erwartet wird, dass sie auch mit dem Klimawandel während den nächsten 50 bis 100 Jahren bestehen werden können.

Dieses Zukunftsdenken beim Pflanzen neuer Bäume ist sehr wichtig, denn im Wald spürt man den Klimawandel sehr stark – vor allem die immer längere werdenden Trockenperioden im Sommer. Viele Bäume haben Mühe mit den hohen Temperaturen und der Dürre – hauptsächlich die Buche, die zurzeit noch am meisten vorkommt in unseren Wäldern. Sie wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer mehr durch trockenheitstolerantere Baumarten ersetzt werden, die sich besser an die neuen Bedingungen anpassen können. Das sind zum Beispiel der Spitzahorn, der schneeballblättrige Ahorn, Elsbeerbäume und weitere einheimische Baumarten. Auch der Wildverbiss ist ein wichtiges Thema: Wildverbiss bedeutet eine Überpopulation von Wildtieren (wie z.B. von Hirschen und Rehen), die es zu vermeiden gilt, denn durch zu viel Wild werden die jungen Bäume beschädigt und damit das Baumwachstum gehemmt

So wird sich das Bild des Waldes im Aargau und rund um die Barmelweid auch in Zukunft immer wieder verändern. «Ein wichtiger Grundpfeiler ist und bleibt dabei die multifunktionale Dauerwaldbewirtschaftung, die naturgemässe Waldbewirtschaftung nach dem Plenterprinzip*, das sich auf das natürliche Ökosystem Wald stützt», erklärt Martin Blattner.

*Ein Plenterwald ist ein Dauerwald, in dem nur einzelne Bäume aus dem Bestand gefällt werden, weshalb sich hier Bäume aller Wuchshöhen befinden. Der Wald verjüngt sich natürlich, einzelbaumweise oder in kleinen Gruppen, und Bäume jeden Alters wachsen nebeneinander.  Auf Räumungen wird verzichtet.

Quellen:
Forstbetrieb Jura
Verein ProSilva
Der Bundesrat: 125 Jahre Waldgesetz
Kanton Aargau: Naturwaldreservat Egg-Königstein
Was ist ein Plenterwald?

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